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Die Entwicklung von 4-Gangschaltungsnaben
 

Einleitung

Schaltungsnaben für Fahrräder werden schon seit hundert Jahren mit sogenannten Planetenradgetrieben versehen. Diese bestehen aus Zahnrädern, die umeinander rotieren: dem Sonnenrad, einem Satz Planetenräder und dem Hohlrad. Die Grundversion einer Schaltungsnabe besitzt 1 solches Planetenradsystem. Die maximale Zahl von Gängen beträgt dabei bei fixiertem Sonnenrad drei: Die Zahnräder sorgen in einer bestimmten Stellung für eine Übersetzung (= über 100 %), wenn sie umgekehrt eingesetzt werden, sorgen sie für eine Untersetzung (= unter 100 %) und dazwischen liegt der Direktantrieb, bei dem die Zahnräder außer Funktion sind. Aus konstruktionstechnischen Gründen sind die Schritte zwischen diesen drei Gängen relativ groß, meistens etwa 25 - 35 %.

     Wenn diese Grundversion um ein zweites Planetenradsystem erweitert wird, lassen sich damit zwei Verbesserungen erreichen:
a) die Nabe bietet zusätzliche Gänge und
b) die Abstände zwischen den Gängen können verringert werden.

     Von der Möglichkeit b) hat Sturmey-Archer früher ausgiebig Gebrauch gemacht, unter anderem um Radsportlern mehr Auswahlmöglichkeiten zu bieten. In diesem Artikel betrachten wir jedoch die ersten Versuche der Nabenhersteller, um Dreigangnaben zu Naben mit vier und mehr Gängen weiterzuentwickeln.

Harry Reilly, 1908

In seinem Buch "The Sturmey-Archer Story" erwähnt Tony Hadland die Viergangnabe von Harry Reilly als das wahrscheinlich älteste Patent einer Schaltungsnabe mit mehr als drei Gängen. Harry  Reilly war der Bruder von William Reilly von Sturmey-Archer. Sein Patent von 1908 bezieht sich in erster Linie auf eine Dreigangnabe mit zweifachem Planetenradgetriebe, sieht jedoch auch die Möglichkeit einer einfachen Erweiterung auf vier Gänge vor. Die Nabe wurde höchstwahrscheinlich nie serienmäßig produziert.

 

Bremshebel F&S Universal Torpedo
Bremshebel F&S Universal Torpedo, 1912.
Foto: Christian Mayrhofer

Fichtel & Sachs, 1912

1911 folgte ein Patent von Fichtel & Sachs für eine Viergangnabe mit Rücktrittbremse. Erfinder dieser Nabe war die Firma Wanderer Fahrradwerke aus Schönau bei Chemnitz, und F&S erwarb von Wanderer die Rechte zum Bau der Nabe. 1912 wurde mit der Produktion begonnen.

     Die Nabe besaß nicht nur zwei, sondern sogar drei Planetenradsysteme mit insgesamt drei Sonnenrädern, drei Planetenradsätzen und zwei Hohlrädern. Zwei der drei Systeme hatten dasselbe Zähnezahlverhältnis. Der Schaltmechanismus war recht einfach konstruiert, und der Preis hierfür war die große Zahl von Zahnrädern. Was die Übersetzungsverhältnisse angeht, war es eine normale Dreigangnabe mit noch einem extra kleinen, vierten Gang. Der Gesamtübersetzungsbereich war relativ groß. Er reichte von -40 % bis +33 %. Die Nabe war damit besonders für Fahrten durch bergige Landschaft geeignet.

 

F&S Universal Torpedo Die Abkürzung "F&S & W.F.W." auf der Nabenhülse bedeutet Fichtel & Sachs und Wanderer Fahrradwerke. "D.R.P." gibt an, dass die Nabe in Deutschland patentiert ist.

 


F&S Universal Torpedo
Foto: Christian Mayrhofer

 

Wirtschaftlich gesehen war der Nabe kein Erfolg beschieden. Sie war sehr teuer, und der Ausbruch des 1. Weltkriegs 1914 dürfte für den Absatz ebenfalls nicht förderlich gewesen sein. Die Fertigung wurde denn auch 1916 eingestellt. Dadurch ist die Nabe heute sehr selten. Schätzungen zufolge sind noch ca. 20 - 30 Exemplare erhalten geblieben. Wer eine Universal Torpedo besitzt und noch einen Schalthebel dazu braucht, wende sich an Tilman Wagenknecht.

 

F&S Universal Torpedo
F&S Universal Torpedo

 

Henry Sturmey, 1921

Im Oktober 1921 beantragte Henry Sturmey von Sturmey-Archer in eigenem Namen ein Patent für eine Fünfgangnabe. Diese Nabe besaß zwei Planetenradgetriebe. Der mittlere Gang war der Direktantrieb. Die Übersetzungsverhältnisse der fünf Gänge lagen relativ weit auseinander. Zum Schalten wurde nur ein Schaltzug benötigt. Die Konstruktion war ihrer Zeit damit weit voraus und ist mit den modernen Fünfgangnaben von Sachs und Sturmey-Archer vergleichbar. Es fehlte lediglich eine eingebaute Bremse.

     Letzten Endes wurden nur ein paar Prototypen dieser Nabe hergestellt. Indizien weisen darauf hin, dass Raleigh, das bei Sturmey-Archer das Sagen hatte, nicht an den Erfolg dieser Nabe glaubte. Sturmey versuchte danach noch jahrelang vergeblich, einen Hersteller zu finden, der seine Konstruktion in Produktion nehmen würde.

 

Prospekt Sturmey-Archer Nabe, Modell AF
Prospekt Sturmey-Archer Nabe,
Modell AF

Sturmey-Archer, 1939

Knapp 30 Jahre nach der ersten in Serie hergestellten Viergangnabe von F&S ging beim Konkurrenten Sturmey-Archer ebenfalls eine Viergangnabe in Produktion. Das Patent wurde im Oktober 1938 beantragt, die Fertigung wurde 1939 aufgenommen.

     Diese Nabe mit der Modellbezeichnung AF besaß ein zweifaches Planetenradgetriebe und einen bemerkenswert kleinen Übersetzungsbereich (-25 % bis +9 %). Die Abstände zwischen den Gängen sind damit mit denen älterer Kettenschaltungen vergleichbar. Der 3. Gang war, wie bei der Universal Torpedo, der Direktantrieb. Die Sturmey-Archer AF war jedoch die technisch wesentlich raffiniertere dieser beiden Naben.

     Zwar wurde diese Nabe nur zwei Jahre lang produziert, sie stellte aber den Auftakt zur Entwicklung einer ganzen Reihe von Schaltungsnaben mit mehr als drei Gängen dar. Auch der Absatz solcher Naben kam nun allmählich etwas besser in Gang. Sturmey-Archer war dabei jedoch fast 50 Jahre lang der einzige Anbieter! Die Firma hatte ab 1939 immer mindestens eine 4-Gangnabe und (ab 1966) 5-Gangnaben im Programm. 1954 ließ man sogar eine 6-Gangnabe mit zwei hintereinander geschalteten Planetenradsystemen patentieren, die jedoch nicht in Serienproduktion ging. 1973 ließ man eine 7-Gangnabe patentieren, für die Sturmey-Archer von ihrer Konzernleitung wiederum keine Zustimmung zur Serienfertigung bekam. Erst 1987 kam Sachs mit der Pentasport mit fünf Gängen. Wirtschaftlich gesehen kam die Pentasport im richtigen Moment auf den Markt. In den 90er-Jahren folgten unter anderem eine 4- und eine 7-Gangnabe von Shimano (Nexus), eine 7-Gangnabe von Sturmey-Archer und eine 7-Gangnabe von Sachs. Vorläufiger Endpunkt dieser Entwicklung ist die deutsche Rohloff Speedhub mit 14 Gängen.

 

Zusammenfassung

4-, 5- und 7-Gangnaben zählen erst seit den 90er-Jahren zur normalen Ausrüstung von Stadträdern. Die Technik für derartige Naben existiert schon viel länger. Trotzdem konnte keine der früheren Konstruktionen in ausreichender Stückzahl abgesetzt werden, um einen Durchbruch zu schaffen. Das hatte sicherlich mit dem Preis zu tun, aber auch mit der Haltung der Verbraucher, die so "viele" Gänge offenbar unnötig fanden. In den 90er-Jahren war der Markt endlich reif für die Technik, die Konstrukteure in England und Deutschland schon 80 Jahre zuvor entwickelt hatten.

Verwendete Literatur:
Tony Hadland, "The Sturmey-Archer Story".
Mit Dank an Christian Mayrhofer.

 

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Last update: 13.12.2001