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Das erste echte Problem zeigt sich bei der
Demontage: der Steg zwischen den Kettenstreben ist durchgerostet – eine geradezu klassische Stelle für Rostschäden an alten
Tourenrahmen. Da ich so etwas nicht selber reparieren kann, gebe ich den Rahmen einem Fahrradladen in die Hände, der Kontakte
zu einem Rahmenbauer hat. Dort wird nicht nur ein Steg eingelötet, sondern auch der ganze Rahmen, die Gabel und die Felgen
gestrahlt und grundiert.
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Die nächste unangenehme Entdeckung: der Vordergabelschaft
ist krumm und hat sogar oben und unten an der Innenseite der Lagerschalen gerieben. Deshalb wird der Schaft an der Krümmungsstelle
mit zwei Gasbrennern vorsichtig erwärmt. Als die zu biegende Stelle dunkelrot zu werden beginnt, werden die Gabelenden mit der
Hand ein wenig nach hinten gedrückt. Die Gabel biegt sich an der dunkelroten, "weichen" Stelle gerade. Kontrolle mit
dem Lineal: der Gabelschaft ist wieder gerade (siehe unten).
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Der Gabelkonus ist verschlissen und wird ausgetauscht,
wobei der neue Konus einen um 0,2 mm zu großen Innendurchmesser hat. Dieses typische Problem lässt sich durch
Zwischenlegen eines dünnen Blechstreifens lösen.
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Das hintere Schutzblech gleicht dort, wo auch der Steg
der Kettenstreben weggerostet war, einem Schweizer Käse. Das Schutzblech hat ein spezielles, seltenes Profil, so dass kein
Ersatz verfügbar ist. Ich entschließe mich, das Schutzblech um ca. 7 cm zu verkürzen, was leider das Erscheinungsbild
des Rades ein wenig verändern wird.
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Die Laufradnaben werden überholt. Bei der vorderen
Trommelbremse müssen ein paar Teile ausgetauscht werden – Ersatzteile für Sturmey-Archer-Naben sind zum Glück kein Problem.
Die starre Nabe im Hinterrad hat eine völlig verschlissene Lagerschale. Mangels Ersatz lasse ich die Schale drin, wenn sie
je durchbricht muss eine rigorosere Lösung her oder habe ich vielleicht inzwischen eine passende Schale gefunden.
Da ich auch weder über vernickelte noch über schwarz lackierte Speichen verfüge, nehme ich moderne Edelstahlspeichen –
wiederum eine Konzession an das (ohne übertriebenen Aufwand) Machbare. Beim Einspeichen wird entsprechend dem ursprünglichen
Kreuzungsmuster gespeicht.
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Auch das Tretlager und die Pedallager werden überholt,
überall sind Spuren intensiven Gebrauchs festzustellen. Wie in der Zeit ab Ende der 20er-Jahre häufig der Fall, werden diverse
Teile wie Naben und Tretkurbeln schwarz gestrichen. Rahmen, Gabel, Schutzbleche, Felgen und Gepäckträger werden in mehreren
Schichten grün gestrichen. Der "korrekte" Grünton ergibt sich aus der Not heraus: der Kettenkasten ist größer als
heute üblich, da ein großes Kettenblatt mit 50 Zähnen montiert ist. Für die zerrissene, alte Bespannung des Kettenkastens kann
zwar bei einem Kettenkastenhersteller ein neues Tuch bestellt werden, aber nur in einem einzigen Grün. So muss dann eben das
ganze Rad in diesem Farbton gestrichen werden.
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Nun kommt eine heikle Aufgabe, die ich lieber einem
befreundeten Fachmann überlasse: der Rahmen muss in Gold liniert werden. Ich zeichne ein Linierungsmuster mit den zugehörigen
Maßen auf Papier vor. Wie die Originallinierung ausgesehen hat, ist nicht mehr festzustellen, deshalb wähle ich ein Muster,
wie es zu einem holländischen, so genannten "Dienstrad" passt.
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Nach dem Linieren wird auf dem Sattelrohr noch ein
Abziehbild „Nederlandsch Fabrikaat“ angebracht, wie das bei Vorkriegsrädern häufiger der Fall war. Ein Steuerkopfabzeichen
kann leider nicht angebracht werden, da nicht bekannt ist, wie das "Tongo"-Emblem von Cornelissen aussah.
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Jetzt
ist es soweit, dass das Rad nur noch montiert zu werden braucht. Die
Fertigstellung ist in Sicht. Oder doch nicht? Als ich die Vordergabel in
das Lenkkopfrohr des Rahmens schieben will, bekomme ich sie nur mit
sanfter Gewalt rein. So geht's nicht. Aber was ist hier los, ich hatte den
Gabelschaft doch extra noch gerichtet?
Das Unglaubliche ist wahr: Das Lenkkopfrohr ist krumm! Mit einem Unfall
oder dergleichen hat das nichts zu tun, hier ist beim Rahmenbau etwas
schief gegangen. Noch schlimmer: auf dem Fahrradhändler Cornelissen
lastet zudem der Verdacht, den Schaft der Vordergabel mit Absicht krumm
gebogen zu haben, um seinen Fehler zu vertuschen. Denn die Krümmung
befand sich genau an der "richtigen" Stelle in der
"richtigen" Richtung, um die Gabel wenigstens einigermaßen
drehbar in den Rahmen zu bekommen. Dass sich die Gabel nur schlecht
drehte, ist auch an dem verschlissenen Gewinde zu sehen (roter Pfeil).
Es sieht danach aus, dass Cornelissen beim Rahmenbau Probleme damit hatte,
dass wegen des doppelten Oberrohrs drei Rohre beim Lenkkopfrohr
anschließen - keine alltägliche Aufgabe. Anstatt den Fehler zu beheben
nahm er ein schlecht laufendes Lenkkopflager in Kauf.
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Am
krummen Lenkkopfrohr ist nicht viel zu machen, aber um wenigstens das
Lager wieder fluchten zu lassen, wird der Sitz der Lagerschalen mit einer
geliehenen Lenkkopffräse korrigiert. Vor allem die untere Lagerschale
sitzt nach dieser Bearbeitung nur noch gerade so fest (Übergangspassung),
da im Lenkkopfrohr zuviel Material weggefräst werden musste.
Hier wird mit ein wenig Loctite nachgeholfen, damit die Schale sicher an ihrem Platz
bleibt.
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Eine
ganz spezielle Aufgabe ist das Zurechtschneiden eines typisch
holländischen, geschlossenen Kettenkastenüberzugs aus beschichtetem Gewebe. Ausgehend vom Loch für die Tretkurbel werden alle Abstände und
Durchmesser am Fahrrad gemessen und auf das Canevas übertragen. Die
Öffnung für das hintere Ritzel wird oval geschnitten, um die Kette
spannen zu können. Bei der Montage ist darauf zu achten, dass alles genau
mittig innerhalb des verfügbaren Spielraums montiert wird, um ein späteres Schleifen der Kette am Kettenkasten
zu vermeiden.
Bei der Montage der
Kette ergibt sich noch ein unerwartetes Problem: Eine Kette ist zu kurz,
es muss ein Stück einer zweiten Kette angenietet werden. Und eine normale
Kette passt auch von der Dicke her nicht: das Kettenblatt hat 4 mm
dicke Zähne, wie bei alten Transporträdern üblich, so dass also zwei 3/16" breite Mopedketten angeschafft werden
müssen.
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Bei der
Beleuchtung zeigt sich, dass Littooij Elektrotechniker war: ein z. T.
selbst zusammengebastelter Philips-Scheinwerfer mit Haupt- und Abblendlampe, ein namenloser
Scheinwerfer an der Vorderradachse, ein 80er-Jahre-Dynamo, ein Umschalter
mit 3 Positionen am Lenker und ein altes, namenloses Rücklicht - eine
wahre Beleuchtungsanlage, die mit Elektrokabel unterschiedlicher Herkunft
(überwiegend 60er-Jahre) verbunden war. Die nebenstehende Zeichnung zeigt
die Situation zu Beginn der Restaurierung, ein Teil der Verdrahtung fehlte
allerdings. Die Lämpchen haben teils 6 V und teils 5 V
Nennspannung. Littooij hatte sich das offenbar genau überlegt. Nach dem
theoretischen Durchspielen verschiedener Anschlussmöglichkeiten konnte
ich die vermutliche frühere Situation rekonstruieren.
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Der
Umschalter wird so angeschlossen, dass in der Nullposition nur die
6-V-Hauptlampe des Philips-Scheinwerfers brennt. In den beiden
Einschaltpositionen I und II wird entweder die Abblendlampe oder die Lampe
des Vorderradscheinwerfers zugeschaltet, die beide 5 V Nennspannung
haben. Auch das Rücklicht ist mit einer solchen 5-V-Lampe mit 0,2 A
versehen, so dass es auch bei zwei gleichzeitig brennenden
Scheinwerferlampen noch genug Strom bekommt.
Der 80er-Jahre-Dynamo wird aus ästhetischen Gründen durch einen
Philips-Vorkriegsdynamo ersetzt, der ebenfalls aus Littooijs Nachlass
stammt. Die Verdrahtung wird doppelt ausgeführt, so wie das ursprünglich
zumindest zum Teil der Fall war. Das Kabel zum Rücklicht war durch selbst
gebohrte Löcher im Oberrohr und im Gepäckträger verlegt und wird wieder
genauso eingezogen.
Damit ist die Restaurierung abgeschlossen.
(Foto rechts: restaurierte Beleuchtung mit Resten der vorgefundenen
Verdrahtung)
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Herbert Kuner, © 2005 ...
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Last update: 07.01.06
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